Utl.: Klare Aufhebung des Homosexuellenparagraphen 209 StGB durch den VfGH muss von allen Seiten akzeptiert werden
24. 6. 2002 – Wien (SK) “Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zur Aufhebung des Paragraph 209 ist ein lange erwarteter Sieg der Gerechtigkeit und der Sachargumente” erklärte Günter Tolar, Bundesvorsitzender der SoHo (Initiative Sozialismus & Homosexualität) zur heute bekannt gewordenen Entscheidung des VfGH. “Die Übergangsfrist von 9 Monaten ist zwar ein Wermutstropfen, da der VfGH hier offensichtlich Angst vor der eigenen Courage hatte. Wichtiger ist jedoch, dass das Höchstgericht die Verfassungswidrigkeit des § 209 festgestellt und ein klares Urteil gefällt hat, das nun von allen Seiten respektiert werden muss.” führte Tolar aus und bemerkte: “Das Erkenntnis ist in der Juni-Session ohne den übliche Medienwirbel einzelner Wiener Aktivisten zustande gekommen. Ich stelle erfreut fest, dass nicht das ständige Wiederholen billiger Polemiken sondern konstruktive Sacharbeit zum Erfolg führt.”
Paragraph 209 war letzte österreichische Gesetzesbestimmung gegen Homosexuelle
“Mit seiner historischen Entscheidung hat der VfGH die letzte explizit gegen Homosexuelle gerichtete Gesetzesbestimmung Österreichs aufgehoben und den Weg freigemacht für eine vernünftige Debatte über die rechtliche Anerkennung von Lesben und Schwulen” freute sich Tolar und betonte: “Natürlich hätte ich mir vom VfGH schon im letzten Jahr eine raschere Entscheidung ohne Übergangsfrist gewunschen. Trotzdem möchte ich heute jenen VerfassungsrichterInnen danken, die endlich ihr Grundrechtsbewusstsein über die bisher gepflogenen juristischen Spitzfindigkeiten gestellt haben. Besonders danken möchte ich jenen Menschen, die dieses Verfahren betreut und zu einem solchen Erfolg geführt haben, ganz besonders Senatspräsident Dr. Peter Tischler vom Oberlandesgericht Innsbruck.”
Kein legistischer Handlungsbedarf durch Übergangsfrist
Zur Übergangsfrist von neun Monaten stellte Tolar fest, dass “diese Frist definitiv keinen Handlungsbedarf des Gesetzgebers verlangt. Paragraph 209 war nur eine zusätzliche, über die anderen Strafbestimmungen hinausgehende Altersgrenze die explizit gegen schwule Männer gerichtet war. Daher ist aus rechtlicher Sicht keine Gesetzesreparatur notwendig. Jede ‘Ersatzlösung’ würde nur der persönlichen Befriedung jener ÖVP-Funktionäre dienen, die jahrelang verkündet haben, dass § 209 ein Heiligtum des Jugendschutzes ist”.
Der zehnte Abschnitt im österreichischen Strafgesetz legt für alle Mädchen und Burschen ein generelles Schutzalter von 14 Jahren bei freiwilligen sexuellen Handlungen fest (§§ 206, 207 StGB). Darüber hinaus gewährleisten folgende Bestimmungen einen starken Schutz vor Missbrauchshandlungen für alle hetero- und homosexuellen Mädchen und Burschen zwischen 14 und 18 Jahren: “Vergewaltigung” (§ 201 StGB); “Geschlechtliche Nötigung” (§ 202 StGB); “Schändung” (§ 205 StGB); “Sittliche Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren” (§ 208 StGB) sowie von besonderer Bedeutung der Tatbestand “Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses” (§ 212 StGB). Auch die Tatbestände “Kuppelei” (§ 213 StGB), “Entgeltliche Förderung fremder Unzucht” (§ 214 StGB), Zuführung zur Prostitution (§ 215 StGB), “Zuhälterei” (§ 216 StGB) und “Menschenhandel” (§ 217 StGB) schützen Jugendliche beiderlei Geschlechts und jeglicher sexuellen Orientierung vor sexuellem Missbrauch.
Nun Hilfe für betroffene Gewissensgefangenen wichtig!
Tolar unterstrich: “Ganz wichtig ist nun, dass den betroffenen Gewissengefangenen rasch geholfen wird. Bundespräsident und Justizminister sind gemeinsam gefordert, umfassende Begnadigungen zu veranlassen. Gleichzeitig liegt es in der Hand von Richtern und Staatsanwälten, keine neuen Verurteilungen auf Grund einer klar verfassungswidrigen Strafrechtsbestimmung zu bewirken.” Alles andere würde dem Geist des Erkenntnisses widersprechen, da die Anwendung einer verfassungswidrigen Strafrechtsbestimmung ein österreichisches Novum wäre. “Paragraph 209 muss ab heute ‘totes Recht’ sein.” forderte Tolar daher abschließend.
HINWEIS: Aus aktuellen Anlass wird die für Dienstag 25. Juni – 12.00 Uhr angesetzten SoHo-Pressekonferenz geändert: “Stellungnahmen zur Aufhebung des Homosexuellenparagraphen 209″. Heinz Fischer (Stellvertretender Vorsitzender der SPÖ), Hannes Jarolim (SPÖ-Justizsprecher), Günter Tolar (Bundesvorsitzender der SoHo) und Helmut Graupner (Rechtsanwalt und Präsident des Rechtskomitee Lambda) nehmen zur Aufhebung durch den VfGH Stellung. (schluss) up/mm