17. 7. 2001 – Wien (SK) “Bundeskanzler Schüssel und sein Verfassungsdienst sind ganz offensichtlich im Jahre 1989 steckengeblieben, im Gegensatz zur wissenschaftlichen Entwicklung und zur restlichen Gesellschaft in Österreich.” So kommentierte heute Günter Tolar, Bundesvorsitzender der SoHo (Initiative Sozialismus & Homosexualität) die gestern Abend bekannt gewordene Stellungnahme der Bundesregierung im Verfahren gegen § 209 StGB vor dem Verfassungsgerichtshof.
Die Stellungnahme argumentiert primär damit, dass der VfGH bereits 1989 in dieser Sache entschieden habe und seit damals keine neuen Bedenken hinzugekommen sind, die eine nochmalige Entscheidung rechtfertigen würden. “Anders als mit einem Verharren in zehn Jahre alten Ansichten kann ich mir diese dreiste, diskriminierende und mit wahllosen Rundumschlägen gespickte Stellungnahme der Bundesregierung nicht erklären. Die im letzten Ministerrat am 10. Juli klammheimlich beschlossene und nun veröffentlichte Stellungnahme der Bundesregierung ist eigentlich eine Frechheit”, erläuterte Tolar.
“Die Stellungnahme des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt negiert zehn Jahre wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung”, so Tolar am Dienstag gegenüber dem SPÖ-Pressedienst. Sie zitiere selektiv nur jene zwei ExpertInnen des Justizausschusshearing vom 10. Oktober 1995, die eventuell für eine Beibehaltung des § 209 waren, und verschweigt, dass die Mehrheit der anderen ExpertInnen – darunter Prof. Max Friedrich – für die ersatzlose Abschaffung eingetreten sind. Des weiteren werde das Oberlandesgericht Innsbruck brüskiert, indem ihm unterstellt wird, nicht einmal die einfachsten juristischen Regeln einer Antragsformulierung zu beherrschen. Überdies ‘belehrt’ die gesamte Stellungnahme den Verfassungsgerichtshof, warum er sich mit dem Antrag erst gar nicht auseinander setzen muss.
“Umso mehr rechne ich mit einem fairen Verfahren vor dem Verfassungsgerichthof, da dieser bisher sehr gut zwischen ‘politischen’ Argumentationen und juristischen Fakten zu trennen wusste”, sagte Tolar. “Jener Rechtsanwalt, der durch seine Berufung in Innsbruck das Verfahren vor dem VfGH überhaupt erst möglich gemacht hat, Helmut Graupner, wird in seiner offiziellen Stellungnahme vor dem VfGH sicherlich keine Belehrungen ähnlich denen der Bundesregierung anwenden, sondern auf Fakten aufbauen. Denn nichts anderes als Fakten sollten relevant sein”, betonte Tolar.
“Dass der in unseren Fragen sonst so schweigsame Bundeskanzler hier eiskalt und diskussionslos seine überholten Ansichten durchgepeitscht hat, wundert mich gar nicht”, führte Tolar aus und bemerkte: “Fragwürdig ist allerdings, warum die FPÖ und ihre Regierungsmitglieder ihren in letzter Zeit eingeschlagenen konstruktiven Weg in der Homosexuellenpolitik nun wieder zu verlassen scheinen und vorigen Dienstag kommentarlos dieser diskriminierenden Stellungnahme zustimmten.” Die Stellungnahme wurde in der 64. Sitzung des Ministerrates einstimmig von allen anwesenden Mitgliedern der österreichischen Bundesregierung beschlossen und ist in deren Namen vom Bundeskanzler persönlich unterfertigt. Die Bundesregierung hätte verfassungsrechtlich auch die Möglichkeit gehabt, keine Stellungnahme abzugeben.
“Das ist eine bedenkliche Entwicklung und mit solchen Handlungen werden sich die Freiheitlichen ganz schnell wieder jenes positive Bild zerstören, das sie nun langsam bei unseren Anliegen aufzubauen versucht haben. Ich bin daher schon auf die erklärende Stellungnahme der Vizekanzlerin gespannt, die immerhin genauso wie ich im Kuratorium des Rechtskomitee Lambda vertreten ist”, schloss Tolar. (Schluss) wf/mp