Mehr als ein Jahr der Corona-Krise hat Risse und Brüche in unserer Gesellschaft sichtbar gemacht, die unser Zusammenleben seit langem prägen – die Pandemie und die soziale Krise, die ihr folgen wird, lenken den Fokus auf gesellschaftliche Herausforderungen, die gerade die Sozialdemokratie dringend anpacken muss. Eine Gruppe, die davon besonders betroffen ist: Junge Menschen.
Denn gerade Jugendliche und junge Erwachsene stehen nach mehr als einem Jahr der Corona-Pandemie vor enormen psychosozialen Herausforderungen. Besonders hart getroffen werden davon insbesondere jene Gruppen, die bereits vor der Pandemie marginalisiert und in vulnerablen Situationen waren. Ein zentrales und international viel diskutiertes Beispiel dafür sind junge LGBTIQ-Personen – die großen Herausforderungen vor denen diese Gruppe in der besonders schwierigen Zeit als Jugendliche und junge Erwachsene ohnehin schon stehen, werden durch die Einschränkungen der Pandemie-Bekämpfung vervielfacht. Internationale Studien unterstreichen daher auch die Wichtigkeit eines umfassenden politischen Vorgehens zur Sicherung der bestmöglichen Unterstützung und selbstbestimmten Entwicklung von jungen LGBTIQ-Personen.
Damit stehen junge LGBTIQ-Personen aber auch beispielhaft für eine Krise, die fast alle jungen Menschen betrifft. Die junge Generation ist heute vielfältiger, offener und bunter als jede, die ihr vorangegangen ist. Sexualität und Herkunft, ethnische Merkmale und Geschlecht(sidentität), sowie viele andere Kriterien prägen sie und genau diese Vielfalt muss endlich auch politisch beachtet werden. Im Bereich der LGBTIQ-Jugendlichen zeigen Daten der Selbstmordpräventionsinitiative „The Trevor Project“ deutlich, welche Herausforderungen vor uns liegen: „Über 40 Prozent der queeren Jugendlichen gaben an, dass sich die Pandemie auf ihre Fähigkeit, ihre Identität auszudrücken, ausgewirkt hat. Besonders betroffen sind trans und nichtbinäre Jugendliche, die dem zu 56 Prozent zustimmten. (…) Über die Hälfte aller befragten LGBTIQ-Jugendlichen haben seit dem Ausbruch des Coronavirus Symptome von Angst und Depressionen verspürt. (…) Zu schaffen machte den LGBTIQ-Jugendlichen der verringerte Zugang zur psychosozialen Versorgung und dass sie ihre Identität nicht mehr im gleichen Masse ausdrücken können. Ein Drittel aller queeren Jugendlichen gab an, dass sie zu Hause nicht in der Lage seien, sie selbst zu sein, und fast ein Drittel der trans und nicht-binären Jugendlichen fühlte sich seit Beginn von COVID-19 in ihrer Lebenssituation unsicher. Einer von drei queeren People of Color (32 Prozent) gab an, dass ihre Lebenssituation durch die Corona-Pandemie «viel stressiger» geworden sei als zuvor. Auch Mobbing im eigenen Umfeld macht den amerikanischen Jugendlichen zu schaffen.“
Aber auch in Europa ist die Dringlichkeit der Lage längst klar. So warnt der Deutsche Lesben- und Schwulenverband vor den Auswirkungen der Krise besonders auf junge LGBTIQs: Fehlende psychosoziale Versorgung und der unzureichende Ausbau von (Coming-Out) Beratungsstellen würden in der aktuellen Situation vom Wegfall wichtiger Infrastruktur und Begegnungsorte im ehrenamtlichen Bereich ergänzt. Das Fehlen niederschwelliger Supportgruppen aufgrund der Pandemie könnte sowohl auf die psychische Situation als auch auf die langfristige Entwicklung von jungen LGBTIQ-Personen massiv negative Auswirkungen haben. In Österreich wird die Dringlichkeit dieser Situation besonders deutlich, da die Republik – im Gegensatz zu Ländern wie Deutschland – über ein wenig ausgebautes Netz an Beratungs- und Betreuungseinrichtungen für junge LGBTIQ-Personen verfügt. Wichtige Unterstützungsarbeit für diese Gruppe wird vor allem von NGOs getätigt, die dabei oft mit wenigen finanziellen Mitteln zentrale soziale Verantwortung übernehmen. Außerhalb der Bundeshauptstadt, die auf eine lange Tradition von queerer Jugendarbeit zurückblicken kann und diese momentan weiter ausbaut, gibt es nicht in jedem Bundesland professionelle und qualitativ hochwertige Angebote im hauptamtlichen Bereich. Dort wo Angebote existieren, werden sie aus verschiedenen Budgets, meist nicht ausreichend, finanziert. Das klare Ziel einer umfassenden und flächendeckenden, professionellen Versorgung und Betreuung von LGBTIQ-Personen in diesem prägenden Alter ist damit noch weit entfernt.
Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen ist es Zeit, für einen neuen, umfassenden Zugang in der Jugendpolitik. Sowohl im Bereich der Jugendarbeit als auch im schulischen Umfeld braucht es neue Antworten, die ein selbstbestimmtes, gesichertes Leben für diese vielfältige, junge Generation bieten. Expert*innen und Initiativen, die schon lange in diesem Bereich aktiv sind, sowie junge Personen und Aktivist*innen selbst, müssen uns dabei helfen, Antworten auf die drängenden Fragen in diesem Bereich zu finden. Neben diesem intersektionalen Zugang braucht es außerdem schnell ausreichende Mittel – und abgesicherte Budgettöpfe auf Bundesebene – um die Versorgung der Gruppe junger LGBTIQ-Menschen zu garantieren. Junge Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität ohnehin immer noch genug Herausforderungen erfahren müssen, haben es verdient, dass sich die Bundespolitik dieses Missstands annimmt und ausreichend Mittel zur Verfügung stellt!
Der SPÖ-Bundesparteitag hat daher beschlossen:
- Die SPÖ fordert die Schaffung eines bundesweiten Budgettopfes zum flächendeckenden Ausbau von Versorgungs- und Beratungsangeboten in der LGBTIQ-Jugendarbeit.
- Die SPÖ fordert die Schaffung eines unabhängigen bundesweiten Kompetenzzentrums für LGBTIQ-Agenden, das insbesondere als Anlaufstelle und Unterstützung für ehrenamtliche Vereine und Initiativen, sowie für Lehrer*innen, Jugendarbeiter*innen und psychosoziale Dienstleister*innen in ganz Österreich dienen und damit zur Qualitätssicherung und flächendeckenden Versorgung beitragen soll.
- Die SPÖ bekennt sich zur Erarbeitung eines umfassenden Forderungsprogramms zum Themenkomplex „Vielfalt in der Jugendarbeit“, das gemeinsam mit Expert*innen, Initiativen und Betroffenen innerhalb eines Jahres erarbeitet und dem Bundesparteivorstand zur Beschlussfassung vorgelegt werden soll.