„Ehe auch für Homosexuelle öffnen“
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer muss sich im Gespräch mit Ex-SP-Mitglied Barbara Blaha an manch gebrochenes Wahlversprechen erinnern und sich den Vorwurf gefallen lassen, man übernehme die Politik der ÖVP.
(Online unter: http://derstandard.at/?url=/?id=3016288 )
STANDARD: Barbara Blaha ist im Ärger aus der SPÖ geschieden, weil die Partei nicht gehalten hat, was sie versprochen hat, nämlich die Studiengebühren abzuschaffen. Ist es nicht kurzsichtig, wenn man Leute, denen durchaus politisches Talent zugesprochen wird, vergrätzt?
Prammer: Wir wollen niemanden vergrämen. Das Problem ist ein tiefer liegendes gewesen: Nachdem der erste Oktober ein wunderschöner Tag war, folgte am zweiten Oktober die Ernüchterung. Es tut natürlich weh, dass wir bei vielen Themen Federn haben lassen müssen, noch dazu auch in Kernbereichen, das bestreite ich gar nicht. Die Studiengebühren waren das Schmerzhafteste für mich. Aber wer die ÖVP kennt, weiß, dass da Abstriche zu machen waren. Und eine andere Konstellation war nicht in Sicht.
STANDARD: Ist der Umgang mit den Jungen nicht ein strukturelles Problem?
Prammer: Ich glaube auch, dass wir viel stärker auf die Parteijugend schauen müssen. Ich wundere mich immer wieder, mit welcher Punktgenauigkeit die ÖVP ihre Nachwuchspolitik betreibt, wo immer zum richtigen Zeitpunkt die Leute parat stehen, wenn es um Postenbesetzungen geht. Wir müssen viel sorgfältiger schauen, wie wir unsere Jungen stärker fördern können. Personalpolitik ist nicht die starke Seite der SPÖ.
Blaha: Die SPÖ leistet es sich zwar, starke Jugendorganisationen zu haben, sie stattet sie auch finanziell aus. Aber wenn es darauf ankommt, dass man Positionen oder Mandate zu vergeben hat, dann greift man nicht auf die Leute aus der Struktur zurück, sondern umgeht die Strukturen, indem man ganz andere Leute holt, was logischerweise die aktiven Jungen vergrämt. Wenn ich mir jemanden hole, der noch nie durch Kritik oder eine andere Meinung aufgefallen ist, was bedeutet das für die SPÖ?
Prammer: Ich kann das so nicht stehen lassen. Der Großteil der Leute, die wir in der Politik sehen, kommt aus den Organisationen. Vom Alfred Gusenbauer angefangen …
Blaha: Ja, früher war das schon so …
Prammer: Nein, ich glaube auch, dass das wieder so sein wird. Zudem: So wie das Wahlrecht derzeit gelagert ist, haben große Parteien wie die SPÖ die Situation, dass wir fast keine Listenmandate haben. Großteils sind es Wahlkreismandate, wo ja, wie du weißt, kein Einfluss da ist, weder von der Landes- noch von der Bundesebene, wer dort in die Mandate kommt. Und das ist ein Problem. Vor allem, was die Frauenquote betrifft. Wenn ich nur die Bundesliste betrachte, hätten wir ein leichtes Spiel. Das ist eine Diskussion, die wir führen sollten. Blaha: Meinst du die Diskussion über das Wahlrecht oder über die Frauenquote?
Prammer: Beides.
Blaha: Du meinst, wenn die Bundesliste nicht dafür sorgt, dass es eine Geschlechtergerechtigkeit gibt, hat die unterste Ebene überhaupt wenig Gespür dafür?
Prammer: Ja, so ist es.
Blaha: Und wäre es nicht auch eine Möglichkeit zu sagen, da wartet die Herausforderung an der Basis, dass man dort Überzeugungsarbeit leistet?
Prammer: Ja, natürlich, das machen wir ja auch. Wir fördern ganz gezielt die Gemeinderätinnen. Wenn ich mir anschaue, dass wir noch nicht einmal die 25-Prozent-Quote bei den Gemeinderätinnen haben, dann weiß ich, wo wir aufholen müssen. Wir dürfen uns nicht einreden, dass wir in der SPÖ schon alle diese Fragen überwunden hätten. Hier kann nur Netzwerken die richtige Antwort sein.
Blaha: Oder die Strukturen ändern. Bei den Studierenden ist es völlig klar, dass man eine Frauenquote jenseits der 25 Prozent hat. Könnte man sich nicht auch im Bund interne Regelungen ausmachen?
Prammer: Die Regelungen haben wir ja auch. Nur muss man sie auch erfüllen. Der Druck darauf darf einfach nicht nachlassen. Und dafür bin ich ja bekannt.
STANDARD: Wie angepasst muss ein junger Mensch sein, um in der SPÖ Karriere zu machen? Wie viel kritisches Potenzial darf er sich leisten?
Prammer: Also das ist nicht das Thema. Wenn ich mir anschaue, wie kritisch und differenziert etwa im Nationalratsklub diskutiert wird, dann hat sich da unglaublich viel verändert. Wir sind der Kritik nicht abgeneigt, ganz im Gegenteil.
Blaha: In der Frage des Regierungseintritts war die Diskussion im Parteivorstand sehr verhalten.
Prammer: Ja, aber weil der Großteil auch dafür war.
Blaha: Es haben immerhin zwei Landesorganisationen dagegen gestimmt, und das finde ich schon relevant.
Prammer: Man darf nicht vergessen, dass die SPÖ ja auch nie zur Gänze in Opposition war. Weil: Wenn ich in vier Bundesländern die Landeshauptleute stelle, wenn ich mir anschaue, wie viele Kommunen durch sozialdemokratische Bürgermeister regiert werden, dann kann ich nicht behaupten, dass die SPÖ eine Oppositionspartei ist.
Blaha: … oder auch, welche Gesetze mitbeschlossen wurden, obwohl die SPÖ in Opposition war. Stichwort Asylgesetz. Es stimmt eh, da war die Rolle eh nicht eindeutig.
Prammer: Na ja, also die Sache mit dem Asylgesetz kann ich da nicht vergleichen. Das ist etwas anderes. Wenn ich mir anschaue, was in diesen sieben Jahren Schwarz-Blau und Schwarz-Orange alles gemacht wurde, dann war es höchste Zeit und wirklich ein Glück für die Menschen in Österreich, dass das so ausgegangen ist. Mit allem Weh und Ach, das damit verbunden ist.
STANDARD: Kommt Ihnen die Aussage bekannt vor? „Gerade nach der Politik der Jahre 2000 bis 2006 bedarf es wieder einer konsequenten, nachhaltigen, aktiven und umfassenden Frauenpolitik.“ Wie konsequent ist es, wenn etwa die Zuverdienstgrenze beim Kindergeld entgegen der SP-Position weiterbesteht?
Prammer: Für uns war das Kindergeld immer ein Einkommensersatz. In diese Richtung muss es wieder gehen. Wenn ich die Arbeitszeit reduziere, dann muss sie fallen. Wir versuchen uns sukzessive wieder dahin zu bewegen. Das ist mühsam genug mit der ÖVP. Der Begutachtungsentwurf trägt ausschließlich sozialdemokratische Handschrift.
STANDARD: Aber gerade bei der Zuverdienstgrenze ist doch kein Wort von einer Arbeitszeitbeschränkung zu lesen. Sieht so konsequente sozialdemokratische Politik aus?
Prammer: Es ist so weit konsequent, als es mit der ÖVP auch tatsächlich machbar ist.
Blaha: Was mir auch an unserem Gespräch auffällt: Entweder es scheitert alles an der ÖVP oder du bringst den Vergleich, dass die letzten sieben Jahre so schrecklich waren, dass wir froh sein können, dass die SPÖ jetzt wieder an der Macht ist – egal, um welchen Preis. Und ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt. Eigentlich glaube ich es nicht.
Prammer: Oh ja, es stimmt. Absolut. Es hätte nicht im Entferntesten die Debatte um die Mindestsicherung gegeben ohne uns. Es hätte nicht im Entferntesten die Möglichkeit gegeben, Wählen mit 16 durchzubringen. Es hätte nicht im Entferntesten die Chance für die Ausbildungsgarantie für alle unter 18 gegeben. Der Vergleich macht mich ständig sicher.
Blaha: Aber ich glaube, alleine den Vergleich anzustellen ist ja schon falsch. Es geht nicht darum, sich an der ÖVP zu messen, sondern an sozialdemokratischen Grundsätzen.
Prammer: Ich messe mich ohnehin nur an sozialdemokratischen Grundsätzen. Ich stelle nur fest: Was brauchen die Menschen in diesem Land? Die Maßnahmen hinter der sozialdemokratischen Politik. Und jeder Schritt, der uns näher dort hin bringt, ist der richtige. Ich bin da sehr pragmatisch.
Blaha: Ja, aber wenn man so pragmatisch ist, dann muss man sich halt auch anschauen: Was haben wir als SPÖ alles aufgegeben beziehungsweise was machen wir jetzt in Zusammenarbeit mit der ÖVP, was ganz klar ÖVP-Politik ist. Zum Beispiel die Abschaffung der Erbschaftssteuer.
Prammer: Was die Steuerpolitik betrifft, da haben wir noch sehr viel zu diskutieren. Das wird ein sehr harter Kampf.
STANDARD: Warum sollte ich als Frau die SPÖ wählen?
Prammer: Weil wir die richtigen Antworten haben auf die Herausforderungen und Probleme, die Frauen betreffen. Etwa: Wie schließen wir die Einkommensschere, wie erhöhen wir den Erwerbsanteil, wie verkürzen wir die Berufsunterbrechungen.
Blaha: Da kann ich aber gleich die Grünen wählen, die stehen für all das auch.
Prammer: Wir sind in der Frauenpolitik bei Weitem nicht auf einer Linie. Da sind viel mehr wirtschaftsliberale Ansätze dabei als bei uns. Ich halte auch die Aussage der Grünen für falsch, die sich um die eingetragene Partnerschaft drücken. Das kritisieren im Übrigen auch die Homosexuellen, dass die plötzlich diese „Ehe light“ propagieren, und zwar auch für Heteros. Ich halte das wirklich für falsch. Wir brauchen zunächst einmal diese eingetragene Partnerschaft als Pendant zur Ehe für die Homosexuellen. Und wir brauchen auch Rahmenbedingungen für die Lebensgemeinschaften. Die Grünen mischen das. Aber das ist nicht die Antwort.
STANDARD: Aber was wäre die Antwort der SPÖ? Bislang gibt es nur das Modell der eingetragenen Partnerschaft, das ich als Heterosexueller nicht wählen kann. Da müsste ich heiraten.
Prammer: Ja, die eingetragene Partnerschaft ist die Ehe.
STANDARD: Wieso nennt man es dann nicht so?
Prammer: Es ist nur mehr eine Frage der Zeit, bis wir die Menschen davon überzeugt haben, dass es kein Tabubruch ist, wenn man das auch Ehe nennt. Ich würde die Ehe auch für Homosexuelle öffnen, aber da bin ich alleine mit meiner Meinung. Aber es geht ja nicht nur um den Begriff.
STANDARD: Soll es eine Verpflichtung zum Pensionssplitting geben?
Prammer: Ja, Männer sollen auch Beiträge leisten, wenn die Frau zu Hause ist. Freiwillig funktioniert das ganz sicher nicht.
STANDARD: Sie sagten einmal über die Familienministerin, Sie hoffen, sie vergaloppiert sich nicht und verspricht mehr, als sie dann umsetzen kann. Ist das eingetreten?
Prammer: Ja. Ich habe den Eindruck, Kdolsky plappert drauflos. Sie setzt ein Thema in Gang, ohne zu wissen, wohin der Weg geht. Das ist eine gewisse Zeit sicher ganz lustig. Aber irgendwann fehlt der Tiefgang, den es braucht. Und Kdolsky hat ein verantwortungsreiches Ministerium, wo man vieles nicht einfach aus dem Bauch heraus bewerkstelligen sollte.
STANDARD: Auch Buchinger inszeniert sich gerne selbst.
Prammer: Auch er muss aufpassen, manches Mal nicht etwas anzukündigen, was er dann nicht einhalten kann. Ich kann etwas formulieren, meine Vision, wohin der Weg gehen soll. Aber dann muss ich auch dazusagen, dass vielleicht das eine oder andere jetzt nicht gehen wird.
STANDARD: Auch das ist keine Stärke der SPÖ.
Prammer: Ich sitze hier nicht, um alles zu verteidigen, was ich nicht verteidigen möchte. Ich weiß, es sind Fehler gemacht worden, und manches ist auch nicht zu entschuldigen. Aber ich hoffe, am Ende des Tages wird die Bilanz zeigen, dass es sich gelohnt hat, am 11. Jänner 2007 in die Regierung eingestiegen zu sein. Und ich bin auch der festen Überzeugung, dass das so ist.
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Zur Person
Barbara Prammer (53) ist seit Oktober 2006 Präsidentin des Nationalrates. Seit 1995 ist sie stellvertretende SPÖ-Chefin, seit 1997 Bundesfrauenvorsitzende. Von 1997 bis 1999 war die Oberösterreicherin auch Frauenministerin. Die Soziologin hat zwei erwachsene Kinder. (Von Karin Moser/DER STANDARD, Printausgabe, 31.8.2007)