Utl: Herta Däubler-Gmelin: Tatbestand der mangelnden Reife gibt es in Deutschland nicht
9. 7. 2002 – Wien (SK) SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim und die deutsche Justizministerin Herta Däubler-Gmelin trafen sich im Vorfeld der morgen im Nationalrat zur Diskussion stehenden “Nachfolgeregelung” (Vorblatt des Entwurfs zum Abänderungsantrag) zum Paragraf 209, um im Rahmen eines sozialdemokratischen Netzwerkes “auf intellektueller Ebene einen Diskurs über grundsätzliche Fragen der Justizpolitik” zu führen, wie Jarolim in einer Pressekonferenz am Dienstag betonte. Däubler-Gmelin verwies auf die “traditionelle Zusammenarbeit” mit den “rechtspolitischen Freunden” in Österreich. Die deutsche Justizministerin betonte ihre Nicht-Einmischung in die aktuelle justizpolitische Diskussion, erklärte aber, dass es den Tatbestand der mangelnden Reife in Deutschland nicht gebe. Jarolim erneuerte seine Kritik an der geplanten Nachfolgeregelung zum Paragraf 209.
“Jeder junge Mensch hat ein Recht, ohne Zwang, Druck oder Abhängigkeit seine Sexualität zu entwickeln”, aber der Schutz vor Prostitution und der Ausnützung eines Abhängigkeitsverhältnisses müsse gewährleistet sein, betonte Däubler-Gmelin. Die Intention für den Paragrafen 182, in dem in Deutschland der “Sexuelle Missbrauch von Jugendlichen” geregelt ist, war die Frage, wo die Grenze sei, wo der Staatsanwalt eingreifen solle. “Fummeln von Jugendlichen ist nichts für das Strafrecht.” Ein großer Altersunterschied sei per se noch nicht strafbar, “aber ein wichtiges Tatbestimmungsmerkmal”.
Jarolim wertete den ÖVP-FPÖ-Entwurf als einen “krampfhaften Versuch, den Paragraf-209-Entfall so zu deuten, dass es eine Ersatzlösung geben soll”. Er verwies auf den Arbeitskreis des Justizministers Michalek, der den Auftrag hatte, eine Sexualstrafrechtsreform durchzuführen und dem namhafte Experten angehörten. Dieser sei von der ÖVP vor zwei Jahren “abgedreht” worden. Das Interesse an dieser Problematik war von Seiten der Regierungsparteien gleich Null.
Jarolim verwies auf seine Beobachtungen als Abgeordneter aus dem zweiten Wiener Gemeindebezirk: Da würden Mädchen von zwölf Jahren aufwärts “einschlägig von Freiern angesprochen”. “Wir wollen das nicht, dass Mädchen sexuell ausgenützt werden”, betonte Jarolim. Die Regierung würde aber den Jugendschutz bloß als Vorwand nehmen. “Wir warnen davor, hier einen Aktionismus zu starten und mehr oder weniger das, was aus Khol’scher Feder kommt über Österreich zu stülpen.” Im Grunde, so Jarolim, finde dadurch ein Missbrauch der Opfer statt. Jarolim vermisse im Entwurf die Expertise, die Fachmeinung von anerkannten Jugendpsychologen wie Professor Max Friedrich und als Ergebnis einen Entwurf, der “rechtsstaatlich nachvollziehbar” sei.
Eine EU-einheitliche Regelung stehe im Herbst zur Abstimmung. Allerdings ist es für Jarolim “armselig” zu sagen, diesem sei vorab bereits zu entsprechen. “Eine Abstimmung ist eine Abstimmung”, so Jarolim mit dem Verweis darauf, dass die deutsche Justizministerin bereits erklärte, dass Deutschland sich dabei massiv einbringen werde.