Als ich die Nachricht von der Wahl Ratzingers vernahm, war ich wütend und habe im Fernsehen auch gleich meinen Austritt aus der Kirche bekannt gegeben. Ich folge damit übrigens einem Satz, den Bischof Laun (Woityla-Produkt) bei einer öffentlichen Diskussion zu einem etwas aufmüpfigen Priesterkollegen wütend gesagt hat: „Herr Kollege! Wenn es Ihnen nicht passt, dann gehen Sie halt aus dem Verein raus!“ Da könnte der seltene Fall eintreten, dass ich dem Rat eines Kirchenfürsten folge.
Heute bin ich nur noch enttäuscht. Was bedeutet die Wahl des Kardinal Joseph Ratzinger? „Eine Fortsetzung der bisherigen Linie“, ist überall zu lesen. Es gibt „Kontinuität statt Modernisierung“. Kontinuität also in den Fragen Geburtenregelung, Verbot weiblicher Priester, Bannstrahl gegen „linke“ Befreiungstheorien, Ausstieg aus der Schwangerenberatung, Lockerung des Zölibats, Priestermangel, innerkirchliche Demokratie, Rechte der Frauen, gleich berechtige Partnerschaften für Homosexuelle, Kondomverbot (vor allem in der dritten Welt höchst förderlich für die Ausbreitung von Aids), u.s.w.
Das alles soll „kontinuierlich fortgesetzt“ werden. In Österreich haben wir uns in den letzten Jahren mit Woityla-Produkten wie Groer, Eder, Krenn, Laun und letztendlich auch mit dem nach Rom schielenden und daher sehr vorsichtigen Schönborn herumgeschlagen. Von Schönborn soll immerhin der uns Homosexuelle beleidigende Passus im Weltkatechismus“ (man möge uns mit Mitleid begegnen) stammen.
„Demokratie kann nicht heißen, dass sich jeder seine Kirche machen darf“, sagte Ratzinger. Was für ein haarsträubendes Missverständnis des Begriffes „Demokratie“. Wenn wir alle 4 Jahre wählen gehen, machen wir auch nicht „jeder seinen Staat“, wohl aber wird die Meinung derer erhoben, die in diesem Staat leben sollen und müssen. Dabei bekommt die Kirche auch ohne demokratische Vorgänge die Meinung ihres Volkes zu spüren. Leere Kirchen, akuter Priestermangel, praktisch kein Nachwuchs bei den weiblichen Orden, massenhafte Kirchenaustritte. Da müsste doch eine Organisation wie die Kirche, die sich so penetrant in unser Leben einmischen will, gewarnt sein, dass da etwas nicht richtig läuft.
Ratzinger wurde sehr schnell gewählt. Das gibt uns das Recht, in seiner Wahl eine deutliche Absicht zu erkennen. Europa scheint der katholischen Kirche verloren zu gehen. Ihre Ausbreitung findet hauptsächlich in der Dritten Welt statt, in Ländern also, in denen die Menschen eine gute und fundierte Beratung brauchen und nicht die Tröstungen der „reinen Lehre“. In den Ländern, in denen sich Aids rasant ausbreitet, brauchen die Leute Kondome und nicht den Rat zu Reinheit und Enthaltsamkeit. Hier grenzt die Engstirnigkeit der katholischen Kirche ans Verbrecherische.
Die Frage, ob der neue Papst für Überraschungen gut sei, finde ich besonders zynisch. Das Angehen oder gar das Lösen der Probleme, die ich geschildert habe, ins Reich der vielleicht kommenden Überraschungen zu verlegen, verweist uns, die von den Restriktionen dieser Kirche Betroffenen, in die Wahrscheinlichkeit eines Tombola-Gewinnes.Ratzinger war der Präfekt der Glaubenskongregation, die nichts anderes ist, als die euphemisch umbenannte Inquisition.
Der Großinquisitor ist also der neue Papst. Und von inquisitorischer Scharfzüngigkeit und Unerbittlichkeit sind auch seine Verteidigungsreden der „reinen Lehre“. „Zusammenhalt und Identität“ der Kirche seine durch den „Zeitgeist“ gefährdet. Da hat Ratzinger sogar Recht. Nicht nur die Kirche(n), auch Staaten sind durch zu eiliges Reagieren auf zeitgeistige Erscheinungen längst in Gefahr, ihre Identität und damit ihren Rückhalt zu verlieren. Man muss dem Zeitgeist ja auch nicht bedingungslos folgen. Das wäre ein Populismus, der einer in Jahrhunderten denkenden Organisation wie der Kirche nicht ansteht und auch für so manchen Staat oder für manche politische Gruppierung einfach falsch ist. Aber man muss lernen, mit dem Zeitgeist zu leben. Die Kirche wäre gut beraten, sich eine Antwort auf den Zeitgeist einfallen zu lassen.
Der Rückzug auf die „reine Lehre“ ist ein Zeugnis geistiger Trägheit und Armut. Diese „reine Lehre“ besteht vielleicht zu 10 % aus dem, was auf Jesus zurückzuführen ist. Alles andere ist im Lauf der 2 Jahrtausende dazu gekommen, erfunden worden, nachgebessert worden, verschlechtert worden. Jesus würde möglicherweise schaudern, könnte er sehen, was die weltlichen Vertreter, immer unter dem Vorwand, der „Heilige Geist“ hätte es ihnen eingegeben, aus seiner Lehre gemacht haben.
Im Sündenregister, das uns Schäflein die katholische Kirche vorlegt, sind Hoffahrt, Eitelkeit, Stolz, Unbarmherzigkeit und noch vieles andere enthalten. Würde die katholische Kirche nach ihrer eigenen Checkliste einmal Gewissenserforschung betreiben, hätte sie für das menschliche Unheil, für das sie verantwortlich war und ist und (mit dem neuen Papst vermutlich – es sei denn, es kommen die Überraschungen) auch sein wird, viel Buße zu tun.
Aber Nicht-Beschäftigung mit den Problemen der Menschen gehört zu der Überheblichkeit, zu der sich die Kirche unter Berufung auf die Wahrung der reinen Lehre berechtigt und sogar verpflichtet fühlt. Ich bin in einem katholischen Land aufgewachsen, ich bin, trotz der sozialdemokratischen Gesinnung meiner ganzen Familie, katholisch erzogen worden. Die katholische Kirche ist, ich mag mich noch so sträuben, tief in mir verwurzelt. Aber irgend wann kommt der Punkt, an dem ich mich außer Stande sehe, nach einer „reinen Lehre“ leben zu sollen, die die Frauen auf das Marienbild zurücksetzt, Partnerschaft und Liebe auf das Sakrament der Ehe reduziert und den Menschen der Dritten Welt auf Hunger, Durst und Aids mit dem Rat zur Enthaltsamkeit antwortet.
Und für all das wird der neue Papst Benedikt XVI. allenthalben als verlässlicher Garant begrüßt.