13. 8. 2002 – Wien (SK) Die Initiative Sozialismus & Homosexualität (SoHo) weist auf das heute ausgegebene Bundesgesetzblatt 134/2002 hin, mit dem das Strafrechtsänderungsgesetz 2002 (StRÄG 2002) verlautbart wird. Dieses enthält im Artikel I unter Punkt 19b die sofortige Aufhebung des verfassungswidrigen und homosexuellenfeindlichen Strafrechtsparagraphen 209. “Damit tritt Paragraph 209 StGB mit Ablauf des Tages der Veröffentlichung, also ab morgen Mittwoch, 14. August 2002, außer Kraft”, erklärte SoHo-Bundesvorsitzender Günter Tolar und führte aus: “Gleichzeitig tritt mit § 207b StGB jene schwammige Verschärfung des Sexualstrafrechts für alle hetero- und homosexuellen Jugendlichen in Kraft, die von ÖVP und FPÖ ohne Begutachtungsverfahren und ohne die Einholung von Expertenmeinungen noch schnell vor der Sommerpause durch den Nationalrat gepeitscht wurde.”
Auf Grund eines VfGH-Erkenntnis beschloss der Nationalrat am Mittwoch 10. Juli 2002 einstimmig die Abschaffung des § 209 StGB und am Donnerstag 25. Juli 2002 erhob auch der Bundesrat keinen Einspruch gegen diesen Gesetzesbeschluss. Damit ist Paragraph 209 morgen, am Tage nach Veröffentlichung des Nationalratsbeschlusses im Bundesgesetzblatt, endgültig abgeschafft und die letzte diskriminierende Sonderbestimmung gegen Homosexuelle aus dem österreichischen Strafrecht beseitigt. Für alle Fälle, die in erster Instanz noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sind, gilt nun bereits die neue Rechtslage, also das einheitliche Sexualstrafrecht für alle hetero- und homosexuellen Jugendlichen, erläuterte Tolar dazu.
Die SoHo richtet eine Reihe von Forderungen an das Justizministerium und den Bundespräsidenten:
1) Das Justizministerium muss garantieren, dass es zu keinen neuen Anklagen oder zu Verurteilungen nach § 209 StGB kommt, beispielsweise in den noch anstehenden 209-Verfahren in zweiter Instanz;
2) Wurden bereits Haftstrafen nach § 209 StGB verhängt, darf es zu keinem Haftantritt mehr kommen. Beispielsweise im sog. “Liebesbrieffall” aus Wiener Neustadt;
3) Verurteilte, die sich bereits wegen § 209 StGB in Haft oder im ‘Maßnahmenvollzug’ befinden, sind durch rasche Haftprüfungsverhandlungen oder durch Begnadigung des Bundespräsidenten sofort freizulassen;
4) Darüber hinaus wäre die Rücknahme allfälliger ‘Begleitmaßnahmen’ (Führerscheinentzug), die Tilgung allfälliger Vorstrafen und eine angemessene Haftentschädigung notwendig. Der Beschluss eines entsprechend umfassenden SPÖ-Antrages wurde in der Nationalratssitzung vom 10. Juli 2002 jedoch von den Regierungsparteien abgelehnt.
Weder das Justizministerium noch die Homosexuellenorganisationen wissen exakt, wie viele Gefangene derzeit wegen §209 als einzigem oder führenden Delikt in Haft sind, auch wenn in einer aktuellen Anfragebeantwortung des Justizministers von rund einem Dutzend Betroffener ausgegangen wird. Daher rät Tolar “allen vom §209 StGB Betroffenen, sich mit ihrem Ersuchen um Begnadigung oder Entschädigung direkt an das Büro des Bundespräsidenten zu wenden”.
Das Bundesgesetzblatt 134/2002 ist hier elektronisch abrufbar: